Vertriebs- und Verkaufsprozesse: Freiheit oder Zwangsjacken?

16-Mär-2015
Chris Sudergat
Chris Sudergat

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Stellen Sie sich vor, ich frage Sie nach Ihren Prozessen im Vertrieb und Verkauf. Wie reagieren Sie? Greifen Sie in die Schublade und überreichen mir voller Stolz ein 20-seitiges Vertriebshandbuch? Oder holen Sie Stift und Papier und fangen an zu malen? Müssen Sie nachdenken, ob es einen solchen in Ihrem Unternehmen eigentlich gibt? Oder laufen Sie in Sieben-Meilen-Stiefeln von mir davon, weil Sie von diesem administrativen Quatsch nichts wissen wollen?

Alles möglich. In meinen Beobachtungen und aus meinen Gesprächen mit Vertriebsverantwortlichen kann ich Folgendes festhalten:

  • Einige Unternehmen haben ausgefeilte Prozesse im Vertrieb und Verkauf, die bis zum Exzess reichen
  • In wenigen Unternehmen ist der Vertriebs- und Verkaufsprozess den Mitarbeitern bekannt
  • Ganz vereinzelt wird der Prozess in den Firmen tatsächlich gelebt
  • Und viele Unternehmen haben an dieser Stelle bis dato gar nichts

„Wozu dann ein Prozess?“ – dürfte eine folgerichtige Frage Ihrerseits lauten. Viele denken sich jetzt bestimmt: Wir sind doch auch so sehr erfolgreich. Warum sich mit etwas beschäftigen, das vielleicht Ressourcen bindet und im Endeffekt nicht viel bringt?

Ganz einfach deswegen, weil klare Prozesse Sinn machen! Wenn man solche im Unternehmen nämlich nicht hat, ist die Bewertung des zu erwartenden Geschäfts schwer bis unmöglich. Vielleicht ist für Sie in diesem Zusammenhang auch mein letzter Blog-Artikel interessant: Forecast - die Hoffnung stirbt zuletzt, der die Wichtigkeit realistischer Prognosen für einen erfolgreichen Geschäftsverlauf zum Thema hatte.

Entsprechend müssen Verkaufschancen richtig eingeordnet werden, um eine Vergleichbarkeit und rationale Einschätzung zu erreichen. Und genau dafür sind strukturierte Prozesse im Verkauf und Vertrieb unabdingbar!

Wieso haben so viele Vertriebler und Verkäufer trotzdem Vorbehalte dagegen?

Weil diese in vielen Unternehmen entweder falsch umgesetzt werden oder das Tagesgeschäft eher behindern. Dies führt konsequenterweise und zwangsläufig zur Ablehnung des gesamten Prozesses durch Ihre Vertriebsmitarbeiter, weil es ein mehr an Arbeit ohne zusätzlichen Nutzen bedeutet. Wäre ja schlimm, wenn Ihre Vertriebler einen ineffizienten Prozess einfach kommentarlos schlucken würden. Oder denken Sie da anders?

Und genau diese Fehler machen gute Vertriebs- und Verkaufsprozesse nicht. Sie unterstützen den Vertriebler passgenau in seiner täglichen Arbeit und blockieren ihn  nicht. Nur wenn das der Fall ist, stellt der Prozess vom ersten Kontakt bis zum Vertragsabschluss keine Zwangsjacke dar.

Freuen Sie sich eigentlich in Ihrer Funktion als Vertriebs- und Verkaufsleiter, dass Sie die Excel-Sheets mit 7-9 Detailblättern pro Opportunity nicht mehr selbst ausfüllen müssen? Sehen Sie! Ihre Mitarbeiter beneiden Sie vermutlich darum.

Seitenlange Checklisten, die zur Gänze ausgefüllt werden müssen, bevor eine Verkaufschance in die nächste Stufe des Prozesses rücken darf, wecken Kindheitserinnerungen in mir. Kaffee und Kuchen bei Großtante Elfriede. Und erst wenn der letzte Brösel des trockenen Marmorkuchens vertilgt war, durften wir raus zum Spielen. Wenn Sie bei solchen oder ähnlichen Reminiszenzen ebenso ein ungutes Gefühl in der Magengegend bekommen wie ich, können Sie nachempfinden, wie sich Ihre Mitarbeiter angesichts von besagten Listen und zu viel Verwaltungsaufwand manchmal fühlen. Gelinde gesagt: nicht wohl!

So wenig Prozess wie möglich und so viel wie nötig

Versetzen Sie sich in deren Lage und treiben Sie einen schlanken Prozess in Ihrer Abteilung voran! Und vor allem: Kommunizieren Sie ausreichend mit Ihren Vertrieblern!

Wenn Ihre Mannschaft den Prozess lediglich als Kontrollinstanz auffasst, wird dieser alles andere als Zustimmung hervorrufen. Und ja: Vertriebler sind häufig auch empfindliche Diven. Verkaufen Sie deshalb Ihren eigenen Prozess, indem Sie den Nutzen für Ihre Mitarbeiter deutlich herausstellen. So gewinnen Sie die Akzeptanz Ihrer Vertriebler! Ein zentraler Nutzen ist dabei die Freiheit, die ich mit einem Prozess erreichen kann. Jetzt sagen Sie vielleicht: das klingt irgendwie nach einem Widerspruch – Freiheit durch Prozesse? JA, das meine ich ernst. Wenn ich als Vertriebler und Verkäufer selbst zu jedem Zeitpunkt weiß, wo ich in einer Opportunity stehe, dann sorgt es dafür, dass ich vermeide, mich mit den falschen Verkaufschancen zu befassen und stets die Führung im Prozess behalte. Nicht selten führt das dazu, dass mit weniger Aufwand deutlich mehr Umsatz und Ertrag erreicht werden kann.

Trifft Ihr Prozess bereits das Einkaufsverhalten Ihrer Kunden?

An dieser Stelle möchte ich auf noch etwas absolut Entscheidendes eingehen. Ihre Kunden kennen Ihren Prozess noch viel weniger als Ihre eigenen Mitarbeiter, was auch sicherlich von Vorteil ist. Dennoch: unter der Annahme, dass nicht jedes Angebot zu einem Auftrag führt, gibt es neben Ihrem Verkaufsprozess als Anbieter auch noch den Einkaufsprozess des Kunden. Es geht dabei um Synchronität. Und damit meine ich nicht, dass Sie dem Kunden Ihren Verkaufsprozess aufzwingen, sondern Ihrem Vertrieb genug Handlungsspielraum geben, dass er sich um die Führung des Kunden kümmern kann und nicht wertvolle Zeit durch Administration verschwendet. 

Fazit: Prozesse im Vertrieb und Verkauf sind wichtig. Aber gehen Sie pragmatisch vor. Häufig reicht das gemeinsame Verständnis über 5-7 Verkaufsstufen, um in der Abteilung und auch abteilungsübergreifend im Zusammenspiel mit Marketing und Delivery schlagkräftig zusammen zu arbeiten.

Geben Sie sich als Führungskraft die Aufgabe, wie Sie Ihren Mitarbeitern einen Prozess bereitstellen können, der viel Freiheit gibt und gleichzeitig Wachstum planbar macht.