Wenn best-practices das Gegenteil bewirken

02-Jan-2020
Oliver Wegner
Oliver Wegner

best practices und gesundes Wachstum

Viele Unternehmer und Manager greifen auf "best-practices" zurück, insbesondere wenn sich das gewünschte Unternehmenswachstum nicht einstellt. Das Wachstum in der IT- und Tech-Branche grundsätzlich keinem Wahlrecht unterliegt, haben die meisten bereits verstanden. Allerdings bleibt die Frage offen, wo der entscheidende Hebel für gesundes Wachstum in einem Unternehmen liegt. 

Vorneweg: Hierzu gibt es keine Pauschalaussage, da ein Unternehmen (hoffentlich) ein lebendiges System ist und dadurch individuell angesehen werden muss. In der Praxis zeigt sich allerdings häufig ein interessanter Reflex aus dem TOP-Management.

Da gibt es beispielsweise schnell die Initiative für eine neue Software im Vertrieb. Warum? Weil die Vertriebskennzahlen nicht stimmen und die Vertriebler sich auch zu wenig an Prozesse und Strukturen halten. Bingo! Eine kurzes Gespräch zwischen Geschäftsführung und Vertriebsleitung mündet dann also im Auftrag schnellstmöglich zu handeln und schon ist ein "Softwareauswahlverfahren", sprich ein Projekt initiiert, dass neben dem Tagesgeschäft bewältigt werden darf. Einige Monate später ist dann die Entscheidung für das "beste" System getroffen. Nach weiteren Monaten, mit zum Teil aufwändiger Einführung (nicht zu vernachlässigen sind die Unsummen, die häufig bei der Einführung von CRM-Systemen ausgegeben werden), ist es endlich da und alle sind begeistert - mit Ausnahme der Vertriebsmitarbeiter. Falls es einen Vertriebsprozess gibt (der vorher mit einem namhaften Beratungshaus - eben auf Basis von "best practices" entwickelt wurde), passt dieser häufig nicht auf die eingesetzte Software.  

In anderen Unternehmen soll sich gründlicher hinterfragt werden, da sich die Märkte - allen voran die Kunden, aber auch Wettbewerber - stark verändern, so dass es zur Beauftragung eines Strategieberaters kommt. Das persönliche Netzwerk oder eine gut durchdachte google-Suche "spucken" ihn aus. Natürlich wird dieser ausgewählt, weil die Kompetenz - sprich sein Branchen- und Domänenwissen-  vorhanden ist. Und kurz danach starten x-beliebige Interviews und Workshops im Unternehmen. Im Ergebnis liegen dann viele Dokumente (PowerPoint, Word und Excel) vor, allerdings ist der Berater dann "nach Diktat verreist", also nicht zuständig für die Umsetzung. Das wird dann dem Auftraggeber überlassen, weil es ja "nur" noch darum geht, die Menschen darüber zu informieren, dass sich die Richtung verändert, weil ein neuer Weg unausweichlich ist. Dazu sollte eine kurze Mitarbeiterinformation langen, denn intelligente Menschen adaptieren schnell (so die Idee vieler Unternehmenslenker). 

Ein weiterer, sehr beliebter best-practice-Ansatz ist es, die besten Führungskräfte- und Kadertrainer anzuheuern, die den Managern sehr klar aufzeigen, wie Führung 4.x geht. Dazu sollte es langen, wenn sich die gut bezahlten Kräfte, mit noch besser bezahlten Senior Trainern, 2x2 oder teilweise sogar 3x2 Tage in einem Jahr treffen. Vermittelt werden dann einfache Konzepte wie Agile und laterale Führung und wie sich Veränderungsprozesse durch den digitalen Wandel umsetzen lassen. Ab und an geht es auch um Basics in der Führung, wie die Durchführung eines Kritikgespräches oder das Setzen von Zielen etc.  Also, in der Theorie klappt das hervorragend und am Schluss gibt es sogar eine Teilnahme- bescheinigung für die Personalakte. 

Gute Ideen, viele Maßnahmen und keine Integration

Die Krönung dieser drei Beispiele erfährt es dann, wenn ein Unternehmen alle o.g. Maßnahmen (in der Praxis sind es sogar häufig noch mehr) innerhalb von 9 Monaten anstösst und nicht miteinander synchronisiert. Damit werden enorme Werte geschaffen und zwar bei den eingesetzten Beratern, Trainern und Coaches, die einzeln betrachtet sicherlich "best practices" liefern, aber in Summe für das Unternehmen zu wenig bewegen und häufig sogar schädlich sind. Einige hunderttausend Euro / CHF später hat sich nicht viel verändert, mit der Ausnahme der Motivation. Diese ist dann nämlich endgültig am Nullpunkt angelangt und jetzt sind die Unternehmenslenker und die Mitarbeiter das erste mal der gleichen Ansicht: Es hat so nicht funktioniert". Das führt dann dazu, dass die ersten, gut qualifizierten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, da sie bemerkt haben, dass sich die gesteckten Wachstumsziele hier eh nicht erreichen lassen. In der Folge könnten weitere Dinge ausgelöst werden, die in diesem Blog nicht alle beschrieben werden sollen. Stellen Sie sich hierzu verkürzt einfach das Wort "Kollateralschaden" in Bezug auf Ihr Unternehmen vor und dann haben Sie Idee, in was es alles münden könnte. 

Wie kann nun gesundes Wachstum erreicht werden?

Wenn IT-Unternehmen und Fertigungsunternehmen in jeder Kategorie "best practices" kaufen, dann wird auf Spezialisten gesetzt, aber das wichtigste übersehen: die Integration aller Ansätze und Maßnahmen im Sinne eines gesunden und nachhaltigen Unternehmenswachstum. 

Grundsätzlich ist eine neue Strategie, eine neue Organisation mit neuen Prozessen und Methoden, eine neue Software immer ein Change Projekt. Damit liegt der Schlüssel des Projektes primär bei den  Menschen im Unternehmen und nicht auf anderen Ebenen. Damit das Ziel, mit etwas Neuem mehr Effektivität und Effizienz in das Unternehmen zu bringen bzw. das volle Potential der Mitarbeiter wirklich auszuschöpfen, ist es entscheidend zunächst einen gesamtheitlichen Blick auf "das Spielfeld" zu richten. Aus diesem Grunde haben wir das Framework für Gesundes Wachstum (Die Wachstumspyramide) entwickelt. Sie zeigt uns dabei, welche Ebenen es zu berücksichtigen gibt. 

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© Die Wachstumspyramide aus dem Buch "Die Wachstumsformel", Oliver Wegner, Wiley 2018

Ein Unternehmen ist ein System, das in sich lebt und atmet. Sobald auf einer Ebene angesetzt wird, kommt es auf einer anderen Ebene (manchmal nicht da, wo es Manager zunächst erwarten) in Bewegung. Und genau diese Dynamiken finden in den meisten Unternehmen keine Berücksichtigung, so dass gut gemeinte Vorhaben den Unternehmern und Managern regelmäßig auf die Füße fallen. Ganz vorne in der Negativbilanz stehen dann Strategieprojekte, dicht gefolgt von neuen Softwareeinführungen, die vom TOP-Management gewünscht und von den Mitarbeitern nicht richtig verstanden und damit nicht mitgetragen werden. 

Wenn es also darum geht, mehr Kunden zu gewinnen, dann gelingt das nicht (nur) durch die Einführung einer Inbound Marketing Lösung. Wenn es darum geht, hochpreisiger zu verkaufen, dann wird das nicht über ein klassisches Verkaufstraining (trotz sehr gutem Trainer) erreicht. Wenn es darum geht, den Zusammenhalt zu stärken und das volle Potenzial aller Führungskräfte und Mitarbeiter abzurufen sowie eine Warteliste für neue Mitarbeiter (wie bei google) trotz Fachkräftemängel zu schaffen, dann gelingt es nicht über die Erstellung Unternehmensleitbildes durch das Management. 

Gesund wachsen bedeutet Zusammenhänge verstehen

Das Ziel eines jeden Unternehmens sollte es ein, dass die Strategie erreichbare Wachstumsziele enthält und diese im Detail von den Führungskräften und Mitarbeitern verstanden sind und zum persönlichen Engagement führen. Die Organisation mit ihren Prozessen und Methoden sollte dabei alle Menschen im Unternehmen perfekt in der Erreichung und unterwegs in der Selbstführung (Steuerung) unterstützen. Eingesetzte IT-Systeme haben wiederum die definierten Prozesse abzubilden, so dass es gelingt, einen hohen Digitalisierungs- und Automatisierungsgrad v.a. bei Routinearbeiten zu erreichen. Als Basis für ein nachhaltig wachsendes Unternehmen, braucht es eine gemeinsame Unternehmenskultur, die die Sichtweise auf Basis von Werten und Antriebsmotiven aller Mitarbeiter im Unternehmen (auch wenn es mehrere hundert sind!) zusammenführt. 

Die Zeit für isolierte "best practice-Ansätze" ist vorbei. Fangen Sie an, (mehr) in Zusammenhängen zu denken und neue Vorhaben wir folgt anzugehen: 

Schritt 1: Zusammentragen der akuten Engpässe im Unternehmen pro Unternehmensbereich und Herausfinden des Hauptengpasses, der das Wachstum lähmt oder in die falsche Richtung führt. 

Schritt 2: Vor dem Start eines Projektes oder eine Initiative genau analysieren, welche Ebenen der Wachstumspyramide in Bewegung kommen. 

Schritt 3: Entwicklung eines Kommunikations- und Umsetzungskonzeptes, um notwendige Veränderungen im Unternehmen für den nächsten Wachsschritt für alle "begreifbar" zu machen Motivation für den anstehenden Weg zu entfachen. 

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Bildquelle: PublicDomainArchiv / pixabay.com